Samstag, 12. August 2017
Frau Biedermann und die Anwälte, Teil 1
Das Pseudonym "Frau Biedermann" passt ganz hervorragend zu mir, denn ich bin eine biedere, rundliche Familienkuh mit praktischem Kurzhaarschnitt und Gesundheitsschuhen. Deshalb habe ich das allergrößte Verständnis dafür, wenn studierte Juristen mich für unterbelichtet halten. Ich wurde 1958 in eine Handwerksfamilie hinein geboren, bin auf dem Lande aufgewachsen und durfte 1969 aufs Gymnasium gehen, weil mir der Lehrer in der fünften Klasse Volksschule die erforderliche Intelligenz dafür bescheinigte. Es gab Bafög, Schulbuch- und Schulwegfreiheit, weil die Politik auch Kindern von einfachen Leuten eine höhrere Bildung ermöglichen wollte. Wer wissen will, wie es den Kindern von einfachen Leuten auf dem Gymnasium ergangen ist, muss sich bei Monika Gruber umhören. 1978 habe ich ein leidliches Abitur gemacht, 1979 einen sehr guten Abschluss in der Riemerschmid-Wirtschaftsschule in München und 1981 einen sehr guten Abschluss als Steuerfachgehilfin.

Dieser Ausbildung habe ich die hautnahe Berührung sowohl mit Gesetzen als auch mit der beeindruckenden Bandbreite ihrer Auslegeungsmöglichkeiten zu verdanken. Das eigenständige Berufsbild des Steuerberaters ist entstanden, weil der Rechtsanwaltsstand die Entwicklung verschlafen hatte. Im Gegensatz zum Rechtsanwalt kann der Steuerberater sein Berufsziel jedoch auch ohne Studium erreichen, wenn er nach mehrjähriger Berufserfahrung eine entsprechende Prüfung ablegt. Trotzdem ist er nicht weniger anfällig für Standesdünkel, obwohl die Brot-und-Butter-Fälle des kleinen Mannes das unverzichtbare finanzielle Rückgrat jeder Kanzlei bilden.

1973 verunglückte mein Vater tödlich. Mein Bruder und ich waren damals 14 und 15 Jahre alt. Da unsere Mutter außer einen kleinen Witwenrente kein Einkommen hatte, wurde sie nicht mehr zur Einkommensteuer veranlagt und bezahlte bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 keine Steuern mehr. Dieser glückliche Umstand wurde zum entscheidenden Grundstock für das Vermögen, das sie sich 37 Jahre lang vom Munde absparte. Sie lebte nicht nur äußerst bescheiden, sondern entwickelte sich darüber hinaus zu einer ausgefuchsten Hobbyaktionärin. Nicht lange und sie verfügte über einen nicht versteuerten Spekulationsgewinn von 100.000,00 DM. Das war fortan ihr Spielgeld. Was darüber hinaus ging, wurde in mündelsicheren Papieren angelegt, um die sie zeitlebens Verschwiegenheit bewahrte. Als junges Mädchen hatte ich andere Dinge im Kopf und kein Interesse für ihre finanziellen Transaktionen. Als erwachsene Frau mit eigener Familie respektierte ich ihre Geheimniskrämerei. So war sie nun mal. Sie stammte aus einem kleinen bäuerlichen Anwesen, das sie erben sollte. Sie hatte es mit ihren Eltern bewirtschaftet, während ihr Bruder im Krieg war und danach als vermisst galt, und deshalb keinen Beruf erlernt. Als der Hoferbe zurück kam, wurde die Mutti überflüssig und heiratete mit meinem Vater einen Handwerksmeister, dessen Betrieb so hoch verschuldet war, dass ihre Mitgift darin verschwand wie in einem Fass ohne Boden.

Nach dem Unfalltod ihres Mannes und einer 15jährigen Ehe, in der sie sich nicht verwirklichen konnte, lebte die Mutti selbstbestimmt und ließ sich von niemandem mehr etwas einreden. Vor allen Dingen sagte sie niemandem, wieviel Geld sie hatte. Wie Dagobert Duck verbrauchte sie nichts für sich, sondern freute sich daran, dass es da war und sich verzinste. Und wie Dagobert Duck hatte sie wenig Verständnis dafür, wenn ihre nächsten Angehörigen etwas davon haben wollten. Mein Bruder, der sich ständig in Geldnöten befand, musste sich damit abfinden, bis ihre körperliche und geistige Widerstandskraft mit 85 Jahren endlich erlahmte. Nach einem häuslichen Sturz aus ungeklärter Ursache kam sie ins Krankenhaus, so sich unsere Befürchtungen glücklicherweise als grundlos erwiesen. Aber es war klar, dass sie nicht mehr allein in ihrem Haus wohnen bleiben konnte. Die Ärzte schlugen sogar eine Einweisung in die Gerontopsychiatrie vor und mein Bruder beantragte den Betreuerausweis.

Doch die Mutti machte ihm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, stellte eine Vollmacht auf mich aus und zog zu meiner Familie und mir, wo sie die letzten 14 Monate bis kurz vor ihrem Tod blieb. Trotzdem forderten die Anwälte, die mein Bruder für das Betreuungsverfahren mandatiert hatte, weiterhin den Betreuerausweis für ihn. Damit begann meine Irrfahrt durch Anwaltskanzleien und Gerichtssäle.


Bis zum nächsten Mal
Ihre Frau Biedermann

... comment